Groß war der Jubel am 27.05.2023, als nach dem 1:0-Sieg gegen Werder Bremen feststand, dass Union nicht nur in Europa, sondern sogar in der Champions League spielen würde. Die Vorfreude war riesig, doch auch schnell machte sich Ernüchterung breit. Die Verlängerung des Stehplatzpilotprojektes der UEFA stand noch aus. Ohne Verlängerung würde man also im Olympiastadion spielen. Dann die Nachricht, dass das Stehplatzprogramm verlängert wird. Wie man so hört, schwirrte die Nachricht der UEFA kurz vor knapp ein, als die Planungen für das Olympiastadion schon weit fortgeschritten waren. Nach Prüfung und internen Diskussionen entschied sich der Verein dazu, die Spiele für alle Mitglieder und Sponsoren zu öffnen und damit im Olympiastadion auszutragen. Das Entsetzen innerhalb unserer Gruppe war groß und schnell stellte sich intern die Frage nach dem Umgang mit der sich zwangsläufig auftuenden Diskussion. In den anschließenden Gesprächen mit der Szene, dem Verein und langjährigen Weggefährten stellte man uns immer wieder die Frage: „Wogegen seid ihr eigentlich bzw. wer ist euer Adressat?“ Eine Frage, die absolut berechtigt ist, jedoch die Schwierigkeit der ganzen Diskussion, aber auch ihre Sprengkraft aufzeigt. Aber wer sind die potenziellen Adressaten?
Union of European Football Associations
Wo soll man hier anfangen? Den romantischen Gedanken, dass es der UEFA einzig und allein um einen sportlichen Wettbewerb zwischen den erfolgreichsten Teams Europas geht, braucht freilich niemand zu träumen. Gewinnmaximierung durch Markenschaffung und Marktgewinnung ist das Ziel. Der Fokus liegt auf den Zugpferden, den großen Namen. Diesen soll der Zugang erleichtert werden. Die Champions League-Reform im nächsten Jahr dient vor allem dazu, diese Vereine zu binden und glücklich zu stellen. Ein Verein wie der unsere ist nur für das Rahmenprogramm vorgesehen. Gewissermaßen die Aschenbrödel-Story, bis es dann im weiteren Verlauf des Turniers wieder die schwerreichen Vereine unter sich klären. Allein diese angeschnittenen Punkte erzeugen beim Schreiben eine Verachtung gegen diesen Wettbewerb. Doch dann kommt die Erinnerung an die Champions League-Hymne beim letzten Heimspiel (Danke Wumme!) und die Gänsehaut, die dadurch erzeugt wurde. Die Marke wirkt! Beim Autor wirkte sie mit dem Gedanken an vergangene Spiele gegen Falkensee, Wismar oder Neuruppin. Bei anderen wird sie wirken, weil die Vereine aus dem Fernsehen jetzt auf einmal vor der Tür stehen. Aber geht es dabei eigentlich noch um unseren Verein? Der Verband schmückt sein Premiumprodukt auf jeden Fall ordentlich aus. War man aus den letzten beiden Jahren schon gewohnt, dass die UEFA Tage vor dem Spiel die Kontrolle übers Stadion übernahm, steigt dies beim Premiumprodukt Champions League in neue Sphären. Langjährige Sponsoren und damit Retter und Stabilisatoren unseres Vereines, müssen ihre Plätze für den Verband abtreten. Langjährige Unioner, die sitzen immer noch „für’n Arsch“ finden, aber körperlich darauf angewiesen sind, werden durch Premiumsponsoren der UEFA und internationale Medienvertreter verdrängt. Insgesamt wären die Plätze für Unioner deutlicher reduziert gewesen, als in der vorangegangenen Saison und zu normalen Heimspielen ohnehin. Wie im vergangenen Jahr allen Mitgliedern die Chance auf wenigstens ein Spiel zu geben, war ausgeschlossen. Diese Auswirkungen durch das Produkt Champions League sollte man sich vor Augen führen, wenn die Hymne startet. Sie hat keine Bewunderung verdient, sondern Verachtung, steht sie doch für so vieles gegen das wir uns in der Vergangenheit positioniert haben. Und doch sind es nicht mehr Sandhausen, Ahlen oder Hohenschönhausen, sondern Braga, Neapel und Madrid. Historische Momente, in deren Nähe wir vielleicht nie wieder kommen werden.
Vereinsführung
Vor genau diesem Dilemma stand unsere Vereinsführung und der zeitliche Spielraum für Entscheidungen war klein. Langjährige Unterstützer vor den Kopf stoßen? Wie werden wir unseren zahlreichen Mitgliedern gerecht? Letztlich beantwortete der Verein diese Fragen mit einer Entscheidung für das Olympiastadion und gegen die Alte Försterei. Bricht man es auf die Aussage herunter, dass man sich für die Champions League für alle entschieden hat, ist diese Entscheidung vielleicht verständlich, was jedoch suggeriert man den Mitgliedern damit? Daran anschließend: Wann eigentlich ist die Alte Försterei gut genug? Zunächst einmal muss man sich bewusst machen, was die Beweggründe sind, Vereinsmitglied zu werden. Die Hoffnung, dass dies aufgrund des Wunsches nach Mitbestimmung und Teilhabe passiert, ist schnell vom Tisch zu wischen. War dies vielleicht vor zehn Jahren der vornehmliche Anlass. Seit Jahren ist eine Mitgliedschaft jedoch der ausschließliche Weg, Heimspiele unseres Vereins besuchen zu können, vorausgesetzt, man gewinnt im Losverfahren. Selbstverständlich ist da die Lust bei jeder und jedem groß, einen solch historischen Moment auch miterleben zu dürfen. Doch hilft das unserer Fußballkultur, welche vor allem in den sportlich bedeutungslosen Jahren geprägt wurde, wirklich weiter? Können Leute, die wenig bis keine Spiele unseres Vereins im Stadion An der Alten Försterei erlebt haben, überhaupt nachvollziehen, was unsere Fußballkultur ist? Mitgliedschaft hin oder her. Wird durch diese drei Spiele nicht ein falscher Eindruck vermittelt? Nämlich der, dass es auf einmal allen Unionmitgliedern möglich ist, ein „Heimspiel“ unseres Vereins zu sehen? Was macht das mit der Erwartungshaltung? Selbst nach unserem Stadionumbau wird die Kapazität nicht für alle Unionmitglieder ausreichen. Für alle Unioner schon gar nicht. Bleibt der sportliche Erfolg, ist vielleicht ein Verhältnis von Mitgliedern zur Stadionkapazität wie aktuell denkbar. Welche Argumente sprechen dann aber für die Alte Försterei, die jetzt gegen sie sprechen? Wo ist beispielsweise die Grenze zu einem Bundesligaspiel gegen einen der „Großclubs“? Wäre es da nicht angebrachter gewesen, den Standort Alte Försterei, unsere Werte und damit am Ende auch unsere Marke zu stärken, anstatt den Eindruck zu erwecken, dass man eine Lösung für alle finden kann?
Fanszene
„Dann haben wir halt sechs Auswärtsspiele!“ Eine Aussage, die wir nach der Vereinsentscheidung häufig gehört und gelesen haben. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema war selten oder nur am Rande zu vernehmen und wenn, dann war diese gespickt mit Resignation. Dann kam der Dauerkartenverkauf. 40.000 Dauerkarten innerhalb eines Tages sind verkauft worden. Ein enormer Run auf die Tickets. Halt ein historisches Ereignis, vielleicht einmalig in unserer Geschichte oder zumindest zu unseren Lebzeiten. Doch wie soll es weitergehen? Ab ins Olympiastadion und so tun, als wenn alles normal ist? Brauchen wir die Alte Försterei wirklich wie die Luft zum Atmen? Oder ist der Griff zum „Sauerstoffgerät“ Olympiastadion nicht doch zu schnell passiert? Getreu dem Motto Hauptsache Champions League? Schaut man sich die Grafik an, erinnern die Plätze auf der Gegengerade an einen Curved-TV. Prädestiniert für eine Show, passend zum Eventstadion. Diskussionen nimmt man kaum wahr. Eher die Sorge, dass keine Normalität herrscht. Doch kann man unsere Werte, unsere Art Fußball zu leben, einfach so „verpflanzen“? Kann man einfach so den Schalter umlegen und tun, als ob der Weg vom S-Bahnhof Olympiastadion der gleiche wie in Köpenick ist? Die ganzen Rituale und Marotten, alle einfach kommentarlos wegwischen? Das alles aus Nächstenliebe, damit für drei Spiele alle Mitglieder die Möglichkeit haben, die Spiele zu sehen? Oder stellt man nicht insgeheim doch einen Wettbewerb auf ein Podest, an dem man unbedingt teilnehmen will? Hat man die Alte Försterei verraten? Oder nochmals die Frage: Unter welchen Bedingungen ist die Alte Försterei gut genug? Bedingungslos gut genug für uns scheint sie seit der Entscheidung nicht mehr!
Zum Ende bleibt die Frage, wogegen wir eigentlich sind. Grundsätzlich sind wir nicht gegen etwas, sondern wir sind ProAF und das bedingungslos. Blicken wir musikalisch auf diese Debatte, passen sowohl „Wo du auch spielst, ja, wir folgen dir“, als auch „Hier is meen Zuhause, hier kricht ma keener weg, die Alte Försterei dit is der einzje Fleck“. Auch hier zeigt sich wieder die Zerrissenheit auf, die das Thema mit sich bringt. Es gibt außer der monetären Ausrichtung der UEFA und deren Regularien keine falsche Perspektive und dennoch möchten wir zum Nachdenken anregen. Für uns gehört unser Verein, wann immer es die äußeren Bedingungen zulassen, ins Stadion An der Alte Försterei. Der sportliche Erfolg unserer Mannschaft ist historisch und verschafft uns eine neue Form der Aufmerksamkeit. Wir haben die Möglichkeit, unsere Art des Fußballs, Fußball pur, mehr denn je in die Welt zu tragen. Doch statt das mit Einschränkungen in unserer Heimat auf unseren selbst gebauten Stufen zu tun, dort, wo aus jeder Ritze unsere Philosophie des Fußballs sprießt und ihren Charm entfaltet, gehen wir freiwillig in diesen protzigen Nazi-Bau. Kurz und knapp, richtig historisch wäre es gewesen, die Champions League im Stadion An der Alten Försterei zu erleben. Was war das für ein Pokalabend gegen Ajax? Dies wird Real und Co. nun verwehrt bleiben. Selbstredend kann man auch im Olympiastadion für unsere Werte eintreten und diese verkörpern. Natürlich ist sitzen auch dort „für’n Arsch“ und man wird die Mannschaft auch dort nach den Boone’schen Gesetzen unterstützen. Doch dies wird nicht die gleiche Strahlkraft und Wirkung haben wie An der Alten Försterei. Man wird im schlimmsten Fall eine Minderheit darstellen. Wir verpassen die Chance, der Welt unser wahres Gesicht zu zeigen und laufen Gefahr, austauschbarer Teil eines Events zu werden.
Als Fazit nehmen wir für uns als Gruppe mit, dass die drei Spiele für uns keine Normalität darstellen werden. Wir müssen aber auch feststellen, dass die Diskussion zu komplex ist, um die eine, allumfassende Protestform und Lösung zu wählen. Normalität bedeutet für uns, die Spiele unseres Vereins zu besuchen, diesen in höchstem Maße akustisch wie optisch zu unterstützen und zu repräsentieren und als Gemeinschaft aufzutreten. Diese Normalität wird es für uns nicht geben können.